Galit Eilat
Formen des Widerstands in Militärzonen
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Die Gegenwart steuert einem zunehmenden Verderben entgegen und die Zukunft scheint in eine Katastrophe zu münden. Die israelische Armee und ihre Politiker beschleunigen mithilfe der israelischen Gesellschaft die Zahl der Blutbäder und üben dabei Kriegsverbrechen aus, die den Konflikt mit den arabischen Ländern noch mehr schüren, weitere Generationen andauern werden und die Palästinenser als hoffnungslose Feinde an die Wand spielen.
Giorgio Agamben schreibt, dass das bewusste Schaffen eines Staates im Ausnahmezustand Teil der gegenwärtigen demokratischen Praxis ist und dass dadurch ein Niemandsland zwischen Politik und Gesetz geschaffen wird. Der Notfallsstaat oder Staat im Ausnahmezustand ist nicht chaotisch oder anarchistisch organisiert, sondern unter juristischer Kontrolle, selbst wenn diese Kontrolle illegal ist. Das ewige Gefangensein der Palästinenser unter einer hingehaltenen Blockade ist Teil jenes Ausnahmezustandes einer auf unbestimmte Zeit angelegten Extremsituation. Trotzdem ist diese Blockade nicht das Resultat jenes Extremzustandes. Sie ist ein Mittel, durch das der Ausnahmezustand zur Regel wird.
In einem Land, das noch nicht und vielleicht niemals von der Politik des Notstandes befreit sein wird, sind die Militärzonen fluktuierend und können jede Minute neu geschaffen werden, wer auch immer demonstriert oder sich in einer Randzone bewegt, weiß, dass Militärzonen mit derselben Geschwindigkeit geschaffen werden wie sich Notstandsgesetze konstituieren. Israel wird von einem kontinuierlichen Ausnahmezustand regiert. Das Land erbte das Kriegsrecht vom britischen Mandat, das es mit dessen Unterstützung weiterhin als Anomalie einer “legalen Aufhebung der Gesetze” fortführt. Notstandsgesetze erlauben einer kriegerischen Regierung, die Sicherungsmission durch militärische Beherrschung der Palästinenser weiterzuführen, obwohl diese israelische Staatsbürger sind.
Die Art und Weise wie die I.D.F. (Israel Defense Forces, Anm. d. Übersetzers) Demonstrationen oder zivilen Ungehorsam verhindern, besteht darin, dass sie ein ziviles Gebiet zu einer geschlossenen Militärzone erklären. Eine geschlossene Militärzone kann jeder Ort im israelisch besetzten Gebiet sein, zu dem die Armee Zivilisten den Zugang verwehren will. Daher werden Gruppen von AktivistInnen bereits am Weg zu Demonstrationen oder Dialogen mit den Palästinensern festgenommen. Demonstrationen werden frühzeitig aufgelöst indem die Armee oder die Grenzpolizei gegen diese Demonstrationen gerichtete Aktionen setzt.
Die Beziehung zwischen Kunst und Krieg sowie Kunst und Gewalt war seit jeher mehr als zwiespältig. Der gegenwärtige Kunstdiskurs verwendet militärische Begriffe wie Avantgarde, Strategien der Kunst oder künstlerische Taktiken innerhalb der Kunstinstitutionen. Die Avantgarde hat sich selbst über Generationen als zerschmetterndes Element von traditioneller Kunst und ihrer Konventionen verstanden, die Themen für das künstlerische Schaffen diktierten. Mittlerweile ist eine neue Generation von KünstlerInnen hervorgetreten, die für soziale Gerechtigkeit kämpft und daran glaubt, dass Kunst nicht nur die Gesellschaft widerspiegelt sondern soziale Veränderungen bewirken kann. Diese KünstlerInnen oder KünstlerInnenkollektive arbeiten jenseits des Feldes einer (sichtbaren) Repräsentation, in einem radikalen Raum, in dem Gesetze aufgehoben sind und wo Kunst zwischen Metapher (oder Allegorie) und dem Konkreten operieren und daher die Verordnungen des Notfallsstaates umstoßen kann.
“Artists Without Walls” bilden ein Forum aus palästinensischen und israelischen KünstlerInnen aus unterschiedlichen Sparten, die sich in Ostjerusalem oder Ramallah treffen. Die Aufgabe dieses Forums besteht darin, gegen die Grenzmauern und -linien zu protestieren und mit künstlerischen Mitteln den Diskurs zwischen Palästinensern und Israelis voranzutreiben. Das Forum entstand auf Basis der Erkenntnis, dass Demonstrationen noch mehr Gewalt hervorrufen und die Separationsgegner davon abhalten, innerhalb der israelischen Gesellschaft zu arbeiten. „April 1st“ war die bisher erfolgreichste Veranstaltung, bei der im Abu Dis Viertel von Jerusalem auf beiden Seiten der Mauer ein virtuelles Fenster errichtet wurde. Zwei miteinander verbundene Videokameras wurden auf beiden Seiten der Mauer an etwa derselben Stelle platziert. Die Kameras waren an Projektoren angeschlossen, die in Realzeit den Blick von der anderen Seite projizierten. Das virtuelle Fenster erlaubte somit, dass sich die Leute von der anderen Seite sehen konnten. Die Kameras waren nur einen Meter voneinander entfernt angebracht und ließen die Überwachungs- und Kontrolltechnologie zu einem Spektakel werden, das die Aufmerksamkeit der Medien erregte und die israelische Öffentlichkeit auf den Missbrauch von Menschenrechten verwies.
Andere Formen des Widerstandes gegen die Vereinnahmung künstlerischer Praktiken zeigen sich im Dorf von Bilin.* Linke israelische AktivistInnen (AnarchistInnen, PazifistInnen und MenschenrechtsaktivistInnen), internationale und lokale PalästinenserInnen nehmen alle im Kampf gegen die Besetzung Teil. Dieser findet in Form von freitäglichen Demonstrationen statt. Die DemonstrantInnen marschieren Richtung Grenzmauer, um dadurch die Bemühungen um einen Weiterbau zu verhindern und auch Teile, die bereits gebaut wurden, wieder zu zerstören. Die Armee versucht normalerweise die DemonstrantInnen zu vertreiben, indem sie das Gebiet präventiv als “geschlossene Militärzone” deklariert und gegen Demonstrationen gerichtete Aktionen setzt. Die DemonstrantInnen im Dorf sind bewusst nicht gewalttätig und anstelle mit Gewalt zu antworten, arbeiten sie an performativen Installationen, bei denen sie selbst teilnehmen.
Jede Demonstration mündet in einer Veranstaltung, welche die Überzeugung der DorfbewohnerInnen in physischer Form repräsentiert. Während einer Veranstaltung konstruierten die DorfbewohnerInnen Metallrüstungen aus Benzinfässern, die die DemonstrantInnen trugen. Die Fässer markieren den Weg, den die palästinensischen Arbeiter nehmen, um auf Treibstofftransportern nach Israel zu gelangen und Arbeit zu finden. Ein anderes Projekt, das im Dorf entstand, funktionierte mit einem großen Spiegel, auf dem rückwärts, in Spiegelschrift geschrieben stand: “Ich bin gegen die Mauer” oder “Stoppt die Besetzung”. Die DemonstrantInnen trugen den Spiegel am Beginn des Demonstrationszuges. Die herannahenden Soldaten sahen sich selbst im Spiegel, wie sie einer Armee entgegentraten. Die DemonstrantInnen trafen auf eine Armee, die durch das Sonnenlicht überall Antibesetzungsslogans aufprojiziert hatte. Die DemonstrantInnen transformierten solcherart in eine Armee, während die Soldaten zu Freiheitskämpfern wurden.
* Bilin ist ein palästinensisches Dorf westlich von Ramallah und östlich der “Modi’in Elite” Siedlung, in “Area B,” die unter zivilrechtlicher Kontrolle der palästinensischen Behörde steht.
Galit Eilat ist Kuratorin und Gründungsmitglied von DAL - The Israeli Center for Digital Art, Israel. Sie arbeitet als Chefredakteurin von Maarav - einem Online Kunst- und Kulturmagazin und lehrt am Department für Fotografie, Video & Computerbildgestaltung der Bezalel Akademie für Kunst und Design. Zurzeit ist sie Beraterin für das israelische Museum in Jerusalem sowie Mitglied des künstlerischen Vorstandes von "Amanut Haaretz", einem jährlich stattfindenden Festival für junge israelische Kunst.
Übersetzung: Walter Seidl