Waiting for teargas
von Allan Sekula
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»Wie die Welt war dieses Hotel Savoy, mächtigen Glanz strahlte es nach außen, Pracht sprühte aus sieben Stockwerken, aber Armut wohnte drin in Gottesnähe, was oben stand, lag unten, begraben in luftigen Gräbern, und die Gräber schichteten sich auf den behaglichen Zimmern der Satten, die unten saßen, in Ruhe und Wohligkeit, unbeschwert von den leichtgezimmerten Särgen.«
Joseph Roth, »Hotel Savoy«, 1924
Es geschah in Seattle, in den letzten Tagen des vergangenen Jahrtausends. Aus reiner Arroganz begingen die emsigen Organisatoren und ihre multinationalen Gäste drei Fehler. Niemand verschwendete einen Gedanken auf die Musik der jungen Leute, die mehr oder weniger auf der Straße leben und sich völlig zu recht als »Arbeiterklasse« bezeichnen. Niemand machte sich klar, wie tief ihre Verachtung für jegliches Autoritätsgehabe sitzt. Und so dröhnten, noch während die Granaten krachten, schrille Gitarrenklänge durch die gelben Tränengasschwaden: die amerikanische Nationalhymne, gespielt von Jimi Hendrix.
In dieser Stadt, die sich am millionenschweren Treiben der Herren des Internet berauscht, verschwendeten die Organisatoren auch keine Sekunde an die Männer und Frauen, die im Hafen arbeiten. Das war der zweite Fehler. Im vollen Bewusstsein ihrer militanten Tradition stoppten die Hafenarbeiterinnen und -arbeiter die Verladung von Metallkisten aus Asien, und machten damit deutlich, dass dieser ganze globale Handel mehr ist als nur die Frage eines Mausklicks.
Drittens schließlich hielt niemand es für nötig, den Stadtplan der Innenstadt sorgfältig zu studieren. Und sich vorzustellen, wie mühelos Tausende ungehorsamer Körper die hügeligen, regenglänzenden Straßen blockieren könnten, die von der Autobahn hinunter nach Puget Sound führen.
Das alles waren taktische Fehler, wie sie die Mächtigen nirgendwo anders wieder machen werden. Von nun an wird jede demokratische Bedrohung der Globalisierer mit der Maschinerie des »Antiterrorismus« rechnen müssen. Denn: »Alles ist möglich«. Diese Philosophie des maximalen Gewappnetseins entspricht den gängigen Ideen von Kriegsführung, auch wenn die neu erstandene Widerstandskultur ihre Lehren von Ghandi bezieht. Mit Schwimmbrillen oder Tüchern vor dem Mund, manchmal fast nackt, warten die Leute geduldig auf die Granaten, die Gummigeschosse und das Gas.
Wie verhält es sich aber, wenn man gezielt auf Täuschungsmanöver setzt? Einige Monate später, am 1. Mai des neuen Jahrtausends, wurden Tausende von Polizisten für viel Geld zur Wall Street beordert. Angeblich drohte ein anarchistischer Anschlag auf die Börse. In unmittelbarer Nähe der Stelle, wo Paul Strand 1915 ein berühmtes Foto schoss, pflanzten sich stämmige irisch-amerikanische Polizeibeamte auf. Sie trugen dicke Dossiers mit der Aufschrift »Mayday 2000«. Ohne dass es ihnen klar war, sandten sie den Notruf einer abstürzenden Maschine aus.* Die Anarchisten dagegen tauchten nie auf. Hatten sie sich aus taktischer Umsicht zurückgehalten? Hatten sie sich in den frühen Nachtstunden anders entschieden, als Kundschafter unbemerkt den Einzug der Polizei in die leeren Canyons von Lower Manhattan verfolgten?
Lieber stelle ich mir vor, dass hier eine strategische Schlauheit am Werk war. Sie richtete sich darauf, die Ordnungshüter an der Nase herumzuführen, sie als nervöse Opfer der Gespenster der Vergangenheit – 1. Mai, Wall Street, Anarchisten … – hinzustellen. Als wären wir alle zurückversetzt in die Zeit von Joseph Conrads »Secret Agent«. Gibt es wirklich ein Ende der Geschichte?
Und wenn nicht Wall Street, der brodelnden Topf des Kapitals, wo als nächstes?
* Sekula spielt hier mit der Doppelbedeutung von »May Day« und »May day«, dem Notruf im Luftverkehr, der sich vom französischen »m’aider« ableitet.
Waiting for teargas
Ein Beitrag zur Ausstellung \"Gouvernementalität\"
im Rahmen der EXPO 2000
Allan Sekula
Von Seattle nach Hannover
»Gouvernementalität – Kunst in Auseinandersetzung mit der internationalen Hyperbourgeoisie und dem nationalen Kleinbürgertum.« So umfassend war die Ausstellung betitelt, die Roger M. Buergel im Auftrag des österreichischen Kulturprogramms zur EXPO 2000 in Hannover zusammengestellt hat und die 23 künstlerische Positionen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen versammelte. »Zeitgenössische Regierungstechniken und Formen der Machtausübung« sollten dabei – ausgehend vom Anlassfall der Österreich – im Mittelpunkt stehen, aber auch »Formen des möglichen Widerstands« gegen das globale Funktionieren der westlichen Wohlstandsgesellschaft. Einer der vertretenen Künstler, Allan Sekula, nahm dies zum Anlass, um rückblickend die Protestbewegung gegen die wirtschaftliche Globalisierung, die sich Ende letzten Jahres spontan in Seattle zusammengefunden hat, in einer umfassenden Dia-Installation zu porträtieren – vielleicht auch als Ausblick auf kommende Konfrontationen zwischen planetarischer Macht und zunehmend transnationalen Gegenmacht-Manifestationen.
Alte Kestner Gesellschaft, 6. Juni bis 30. Juli 2000