Gabriele Mackert, Interview mit O. Ressler; in: Kunsthalle Wien (Hg.): Attack! – Kunst und Krieg in den Zeiten der Medien
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Gabriele Mackert: Im Zuge unserer Recherchen zur Ausstellung Attack! sind wir eigentlich über die Arbeit Die Rote Zora, eine Videointerviewdokumentation über eine militante Frauengruppe, die mit Anschlägen auf Pharmakonzerne und Genlabors gegen die so genannten Risikotechnologien protestierte, ins Gespräch gekommen. Meine anfängliche Skepsis gegen die Einbeziehung des bundesdeutschen Terrorismus richtete sich vor allem gegen eine Ausweitung unseres Ausstellungsthemas Krieg auf allgemein gesellschaftlich-soziale Konflikte, Aggression und Proteste – ob militant oder nicht. Dabei stand also nicht das Kriterium der Gewalt im Vordergrund. Demgegenüber beschäftigt sich This is what democracy looks like! mit der ersten Anti-Globalisierungsdemonstration in Österreich am Rande des World Economic Forum in Salzburg im Juli 2001. Es thematisiert ein Phänomen, das sich unter den Bedingungen des ausgeformten Neoliberalismus herauskristallisierte, oder wie Toni Negri es formulierte: Längst kämpfen nicht mehr Staaten gegeneinander. Die Regeln und Ziele formuliert der internationale Kapitalismus. Krieg sei heute ein Entscheidungs- und Strukturierungsmechanismus, ein System zur Herstellung von Ordnung. Dies führe zu einer neuen Hybridisierung von Krieg und Frieden. Wie siehst du die Positionierung dieser Arbeit innerhalb unserer thematischen Ausstellung?
Oliver Ressler: Der globalisierte Kapitalismus hat in verschiedenen Regionen im globalen Süden derart brutale, von Ausbeutung geprägte Herrschaftsregime etabliert, dass manche Staaten auch ohne unmittelbare kriegerische Auseinandersetzungen oft nur mehr wie zerrüttete Kriegsökonomien funktionieren. Die Kreditvorgaben von IWF oder Weltbank oder die von der WTO festgeschriebenen Bedingungen des internationalen Handels zwischen „Norden“ und „Süden“ können als low intensity warfare beschrieben werden. Das Video This is what democracy looks like! thematisiert nun eine Demonstration gegen diese Wirtschaftsordnung im Westen, fokussiert die Repression von Menschen, die die bestehende Ordnung in Frage stellen.
GM: Wie kam es zu "This is what democracy looks like!"?
OR: Ich war als Teilnehmer auf dieser so genannten Antiglobalisierungsdemonstration gegen das World Economic Forum in Salzburg. Bereits im Vorfeld der Demonstration wurden die TeilnehmerInnen von den Politikern und Medien als gewaltbereit denunziert, einige Medien haben sogar die „Entglasung“ Salzburgs herbeiphantasiert. Die Polizei verhängte schließlich ein Demonstrationsverbot, wobei sich ein paar tausend Menschen diese Einschränkung der demokratischen Rechte nicht bieten ließen und das Demoverbot missachteten. Auch ich nahm an der Demonstration teil und filmte mit meiner Videokamera. Nach ca. zwei Stunden wurde ich dann gemeinsam mit über 900 anderen DemoteilnehmerInnen über sieben Stunden lang von den martialisch auftretenden österreichischen Polizeieinheiten in einem Polizeikessel festgehalten. Dieses repressive Auftreten von Polizei und Politik gegen eine Bewegung, die sich für eine demokratische Globalisierung einsetzt und sich der beim WEF verhandelten neoliberalen Globalisierung widersetzt, bildete schließlich den Ausgangspunkt für das Video bzw. die Videoinstallation This is what democracy looks like!.
GM: Wie hast du das Filmmaterial editiert? Welche Informationen hast du nach dem Ereignis verarbeitet und integriert?
OR: Ich habe mich entschieden, neben eigenem Videomaterial auch jenes von anderen DemoteilnehmerInnen einzubeziehen, um verschiedene Blickwinkel und Sichtweisen, die man nie alle alleine einnehmen kann, in das Video zu integrieren. Vom Inhalt her waren für mich neben den Ereignissen rund um den Polizeikessel die Einschränkung demokratischer Rechte zentral oder die Gewaltfrage. Die „Gewalt“ einzelner Demoteilnehmer wird im hegemonialen medialen Diskurs ja funktionalisiert, um die Repression einer ganzen Bewegung öffentlich zu legitimieren, während die von den staatlichen Apparaten ausgehende strukturelle Gewalt nie thematisiert wird.
GM: Deine Strategien der Sichtbarmachung benutzen assoziativ stark aufgeladene Bilder, wenn du z. B. vorbeimarschierende Polizisten von unten filmst und sie so auf ihre martialische Ausrüstung reduzierst.
OR: Die Polizisten treten ja bei den Demos nicht als irgendwelche Individuen auf, sondern als behelmte und mit Schilden bewehrte Robocops, mit dem Auftrag, als staatliche Exekutivgewalt die bestehenden Machtstrukturen aufrechtzuerhalten.
GM: Die Kameraführung verrät nicht, dass du selbst Betroffener warst. Sie verströmt z. B. durch Verwackelungen und Unschärfen die Anmutung des „Echten“, ohne auf Objektivität zu setzen. Darüber hinaus vermeidet das Video, ein Naheverhältnis zu den Protagonisten entstehen zu lassen bzw. hält es sich nicht damit auf, Identifikations- oder Negativfiguren zu konstruieren, versucht also, weder durch einen narrativen Strang noch durch eine dominierende Perspektive eine die Orientierung erleichternde Einheitlichkeit aufzubauen. Die Personalisierung der Geschehnisse wird vermieden. Ist sie dir aufgrund der Diskussion um die Individualität des Künstlers und Werkes suspekt, oder kam es wegen des Effekts der Masse in diesen Konflikten nicht dazu?
OR: In Analogie zu den bewegten Bildern, die unterschiedliche (manchmal auch verwackelte) Perspektiven zeigen, wollte ich über die Interviews auch unterschiedliche Beschreibungen, Einschätzungen und Reflexionen von mehreren Personen in das Video einbringen. Zentral für die Konzeption des Videos war, dass die GesprächspartnerInnen ausschließlich aus der Demonstration kommen, das heißt keine Polizisten oder der Bürgermeister zu Wort kommen. Es ging mir um Innenansichten aus der Demonstration bzw. der antikapitalistischen Bewegung in Österreich. Die sprechenden Personen wurden in diesem Video nicht so stark als Einzelpersonen in den Vordergrund gerückt, da es sich einfach um eine kleine Auswahl der 919 eingekesselten AktivistInnen handelt. Daher wird auch meine eigene Person und meine persönliche Involvierung in die Demonstration nicht in den Vordergrund gestellt, sie lässt sich jedoch aus dem Abspann ableiten, wo zu lesen ist, dass das aufgenommene Videomaterial auch von mir stammt.
GM: In deinen Arbeiten fällst du präzise ästhetische Entscheidungen. Die Doppelprojektion über Eck und die Kommentare der nachträglich Befragten zu den Geschehnissen, die räumlich hinter den Besuchern installiert sind, konfrontieren den Betrachter z. B. ansatzweise mit einer ähnlichen Situation, wie sie im Video dokumentiert wird: Die Kundgebungsteilnehmer wurden – als Teilnehmer an einer nicht angemeldeten Demonstration – für sieben Stunden von Spezialeinheiten der Polizei eingekesselt. Damit verlässt diese Arbeit deutlich das Format „Berichterstattung“ zugunsten einer Atmosphäre und bezieht sich auf den Kunstkontext. Auch mit anderen formalen Entscheidungen grenzt du dich vom öffentlich-rechtlichen Auftrag ab. Welche Position beziehst du dabei?
OR: Bei der im Kunstkontext gezeigten 2-Kanal-Videoinstallation spielt der räumliche Aspekt eine große Rolle. Der Kunstraum wird zum szenischen Raum, der die Erfahrung des staatlich verordneten Eingeschlossenseins vermittelt. Durch die Wahl des Standorts innerhalb der Installation haben die AusstellungsbesucherInnen die Möglichkeit, sich im vorderen Bereich nahe der beiden großen Videoprojektionen visuell und akustisch sehr direkt in das Demoszenario versetzen zu lassen. Im hinteren Bereich der Installation, in einer gewissen Distanz zu den aufwühlenden Bildern, dominiert die Tonebene mit den im Nachhinein aufgenommenen Statements der DemoteilnehmerInnen, in denen die Ereignisse aus einem gewissen Abstand reflektiert beschrieben werden.
Es gibt auch eine Einkanalfassung des Videos, die bei Videofestivals, verschiedenen Veranstaltungen und auch im Fernsehen lief, da es mir wichtig ist, meine Arbeiten nicht ausschließlich im Kunstkontext zu präsentieren. Im Gegensatz zu einer Mainstreamdoku, die vorgeblich neutral verschiedene Sichtweisen zu einer Thematik versammelt und die immer bestehenden, zum Teil bewussten inhaltlichen Ausklammerungen verschweigt, peile ich in meiner Arbeit so eine scheinbare Ausgewogenheit erst gar nicht an. Das Video wird ausschließlich aus der Sichtweise der DemoteilnehmerInnen realisiert, mit deren politischer Einschätzung und Analyse ich mich auch gut selber identifizieren kann. So eine offen parteiische Vorgangsweise ist natürlich mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF nur schwer zu vereinbaren. Zumindest hat sich die Programmintendanz des ORF im Falle von This is what democracy looks like! im Jänner 2002 entschieden, das im mittlerweile eingestellten Sendeformat Kunst-Stücke bereits programmierte Video drei Tage vor der Ausstrahlung wieder abzusetzen.
GM: This is what democracy looks like! – der Titel zeichnet sich durch eine fast reißerische Griffigkeit aus. Das Ausrufezeichen steigert diesen Effekt noch. Kommt hier durch die Hintertür doch die eigene Betroffenheit in die Arbeit, die sich nur zynisch zu den Verhältnissen äußern kann?
OR: Der Titel This is what democracy looks like! ist ein Slogan, der seit Jahren bei Demonstrationen vor den Absperrungen, den roten Zonen und bei Übergriffen der Polizeieinheiten von Sprechchören gerufen wird. In meinem Video ist der Sprechchor im Intro und beim Verlassen des Bahnhofsvorplatzes zu hören. Ich habe den Slogan als Titel des Videos gewählt, da es natürlich nicht zufällig passiert, dass die Interessen eines privaten Lobbyvereins der transnationalen Konzerne vom Staat geschützt werden, während das Demonstrationsrecht der GegnerInnen der neoliberalen Globalisierung unterbunden wird. Diese Sachverhalte spiegeln die bestehenden Machtverhältnisse in parlamentarisch-repräsentativen Demokratien wider, this is what democracy looks like.
GM: Deine Arbeiten scheinen Produkte umfangreicher Recherchen und Materialsammlungen zu sein. Das belegen z. B. Flugblätter, Anzeigen oder Selbstdarstellungen von Firmen, die du in Arbeiten wie The global 500 (1999) einfließen lässt. Außerdem verwendest du in mehreren deiner Arbeiten die Form des Videointerviews; damit gibst du den Personen ein Medium an die Hand, über Geschehnisse zu berichten oder Standpunkte zu beziehen.
OR: Im Normalfall stehen am Beginn meiner Arbeiten ausgedehnte Recherchen. This is what democracy looks like! ist in dieser Beziehung eine Ausnahme, da das Video aus den Ereignissen in Salzburg heraus entstand, ohne dass es vorher die Absicht gegeben hätte, ein Video zu produzieren. Ich habe dann natürlich Überlegungen zur Strukturierung des Videomaterials angestellt, die thematische Fokussierung und die Auswahl der InterviewpartnerInnen festgelegt. Die Videos zu Widerstandspraktiken, die ich in den letzten drei Jahren realisiert habe, basieren alle auf Interviews. Es ist mir dabei wichtig, ProtagonistInnen der jeweiligen Bewegungen als GesprächspartnerInnen zu gewinnen, mit diesen auch deren Darstellung und Auftreten im Video zu diskutieren und ein Video zu realisieren, das von den jeweiligen politischen Gruppierungen und Personen auch genutzt werden kann.
GM: Auf welche Art von Nutzung spielst du an? Siehst du dich dabei als Dienstleister?
OR: Das Video zu zeigen – viele der Aufführungen meiner Videos werden von politischen Gruppierungen organisiert, die Videos werden auf ihren Veranstaltungen gezeigt und diskutiert. Als „Dienstleister“ würde ich mich sicher nicht beschreiben, dieser Begriff ist für mich durch die Debatten der neunziger Jahre zu stark mit der sich den Kunstinstitutionen anbiedernden so genannten institutionskritischen Kunst verbunden. Ich arbeite einfach manchmal mit AktivistInnen zusammen, es gibt gemeinsame politische Anliegen, und da ist es für mich selbstverständlich, die Videos auch gemeinsam mit AktivistInnen in ihren politischen Veranstaltungen zu präsentieren.
GM: Wie viele hast du dich zunächst des Mediums Malerei bedient und an anderer Stelle beschrieben, dass dieses Medium dir dann nicht (mehr) adäquat erschien, um politische Inhalte umzusetzen.
OR: Ich verfolge mit meinen Projekten politische Vorstellungen, und solange eine ganze Menge von Inhalten sowie Sprache als Vermittlungsform für mich eine zentrale Rolle spielen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich von einer der nächsten antikapitalistischen Demonstrationen ein Schlachtengemälde malen werde, wohl relativ gering …
GM: Tendiert dein Selbstverständnis eher zum politischen Aktivisten?
OR: Ich definiere mich klar als Künstler – als politischen Künstler. Viele Projekte entstehen in Kooperation mit politischen AktivistInnen, und einige Arbeiten werden auch regelmäßig in politischen Kontexten gezeigt und diskutiert. Ich verorte mich und meine Arbeit jedoch klar innerhalb des Bereiches der Kunst, mit dem Drang, mit jeder Arbeit erneut den engeren Kunstkontext zu verlassen.
Gabriele Mackert, Interview mit O. Ressler; in: Kunsthalle Wien (Hg.): Attack! – Kunst und Krieg in den Zeiten der Medien